Rote Dächer von Mainzer Legionen

Neufund eines kleinen Bruchstückes einer Dachplatte mit überaus seltenem Ziegelstempel der 7. Legion

Das ausgestellte Fragment stammt von den jüngsten Ausgrabungen für die Neubauten der Konservativen Medizin der Universitätskliniken im Bereich des Mainzer Legionslagers. Bislang sind überhaupt nur fünf Exemplare von Ziegelstempeln der LEGIO VII GEMINA aus Mainz bekannt geworden. Immerhin 30 Stempel wurden in der Heeresziegelei in Rheinzabern ausgegraben. Ob ein Mainzer Bauwerk den Anlaß zur Ziegelherstellung durch die 7. Legion in frühflavischer Zeit gegeben hat, kann zur Zeit noch nicht entschieden werden. Die Einheit war von Galba in den Wirren des Vierkaiserjahres 68 n.Chr. in Spanien neu ausgehoben worden und hatte in der Bürgerkriegsschlacht von Cremona schwere Verluste erlitten. Die Wiedererrichtung der Legion aus anderen verlorenen Einheiten bedingte den Legionsbeinamen Gemina: die Doppelte, aus mehreren Teilen Zusammengefügte.

Römische Ziegel und Ziegeleien

Mit den Römern gelangen auch gebrannte Ziegel an den Rhein; unsere Bezeichnung „Ziegel“ leitet sich von dem lateinischen Wort für Dachplatten ab: tegula.
Die Herstellung von Ziegeln (Streichen und Brennen) für öffentliche Baumaßnahmen obliegt spezialisierten Abteilungen (lateinisch: vexillationes) der in der jeweiligen Provinz stationierten Militäreinheiten, im Fall von Mainz den Legionen und Kohorten. Solche Heeresziegeleien bestanden in Südwestdeutschland (nördlicher Teil der römischen Provinz Obergermanien) in Rheinzabern (Pfalz), Frankfurt-Nied, Straßburg-Königshofen, Groß-Krotzenburg (Main) und Worms. Der antike Begriff für eine Heeresziegelei ist in einer Mainzer Inschrift überliefert: castellum figlinarum.

CVSTOS CASTELLI FIGLINARVM

Ein Weihealtar, den ein Soldat der 22. Legion im Jahr 220 n.Chr. für den Kriegsgott Mars gestiftet hat, überliefert die militärische Funktionsbezeichnung für den leitenden Fachmann einer Heeresziegelei. Der custos Severus aus der Mainzer Inschrift war im castellum figlinarum (vermutlich der Heeresziegelei von Groß-Krotzenburg) als Spezialist für Ziegeleitechnik mit der technischen Durchführung von Rohstoffprospektion, Tonabbau und Tonaufbereitung, Ziegelstreichen, Trocknen der Rohlinge, Ofenbau und –wartung, Beschaffung von Brennmaterial, Einsetzen des Brenngutes in den Ofen und Ziegelbrennen verantwortlich. Er war für die Qualitätsgarantie des Ziegeleibetriebes zuständig und ist damit einem heutigen Keramikingenieur vergleichbar.

Dachplatte / Leistenziegel (tegula)

Für römische Dacheindeckungen wurden rechteckige Dachplatten verwendet, deren Langseiten zu 2-3 cm hohen Leisten hochgezogen waren. Sie lagen auf den Sparren eher flach geneigter (ca. 20-30 %) Dächer, meist nur durch ihr Eigengewicht beschwert, auf. Die Abmessungen der tegulae variierten von 60 x 45 cm um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. bis 40,5 x 32 cm im 4. Jahrhundert n. Chr.

Wölbziegel (imbrex)

Im Deckverband überdeckten imbrices die Stoßfugen zweier nebeneinander angeordneter tegulae. Die gewölbten Ziegel waren dabei mit kleinen Mörtelbatzen an den Übergangsstellen fixiert und das Dach so winddicht geschlossen. Die Größen und Proportionen der Wölbziegel orientierten sich an den zusammen verwendeten tegulae. Sehr große und besonders breit überdeckende imbrices fanden als Firstziegel Verwendung.

Mörtelbatzen und Eisennägel

Mit kleinen Mörtelbatzen wurde der Deckverband römischer Ziegel an den Überlappungsstellen abgedichtet. In den Kalkmörtelstücken haben sich charakteristische Abdrücke der Ziegel erhalten. Die tegulae der Firstreihe eines Daches waren, soweit einige wenige Grabungsbefunde das feststellen lassen, durchbohrt und mit eisernen Nägeln an den Sparren des Tragewerkes befestigt. Vielleicht waren auch die Ortgangziegel und Überstände, zum Beispiel an der Traufe, derart fixiert.

Ziegelstempel

Herstellermarken in Form von Stempeln sind häufig vor dem Brand in die noch weichen Ziegel eingedrückt worden. Nicht die geschnitzten hölzernen signacula (Stempelwerkzeuge), sondern die Abdrücke auf den Ziegeln werden allgemein als Ziegelstempel bezeichnet. Häufig haben zum Beispiel die Truppen der jeweiligen Provinz ihre Legions- und Kohortennummern auf den Ziegeln aufgebracht, weshalb die Ziegelstempel für die römische Heeresgeschichte und die Limesforschung von großer Wichtigkeit sind. Für die Bauwerke, in denen die Ziegelstempel verbaut sind, dienen sie den Archäologen quasi als Miniaturbauurkunden und lassen häufig recht genaue Datierungen zu; die Stempelungssitte setzt am Rhein allerdings erst in claudischer Zeit (40er Jahre des 1. Jahrhunderts n.Chr.) ein.

Formulare von Ziegelstempeln

Die Texte der Ziegelstempel folgen stets gleichen Formularen und werden deshalb allgemein als besitzanzeigende Genitive (z. B. „Ziegel der 22. Legion“) aufgefaßt. Abkürzungen und Zusammen-ziehungen von Buchstaben, sogenannte Ligaturen, kommen häufig vor. Nicht immer sind die Beinamen und jeweils aktuellen Ehrennamen der Legionen vollzählig angeführt. Besonders aus dem Nichtvorhandensein der Ehrennamen können deshalb keine chronologischen Schlüsse gezogen werden. In der ersten Hälfte des 2.Jahrhunderts n.Chr. kam in der Ziegelei der 22. Legion in Frankfurt-Nied die namentliche Nennung der Ziegeler in Mode; diese sogenannten Namensstempel wiesen regelmäßig zweizeilige Texte auf.

Funktion der Ziegelstempel

Eine einfache, in jedem Fall zutreffende Erklärung für die über Jahrhunderte beibehaltene Sitte, Ziegel mit Herstellermarken zu stempeln, kann nicht gegeben werden. Intensive Forschungsbemühungen lassen das antike Ziegeleiwesen heute komplex erscheinen: eine detaillierte Ziegeleigeschichte der verschiedenen Provinzen des römischen Reichs wird gerade erst erarbeitet. Für Markierungen im Produktionsablauf, Zählmarken für Abrechnung, Ofenbeschickung oder zur Auftragsidentifizierung sind die Ziegelstempel zu vielfältig; Graffiti, Wisch- und Ritzmarken erfüllen diese Zwecke hinreichend und besser. Privatwirtschaftlich organisierte Ziegeleien könnten mit dem Firmennamen auf dem Produkt für sich geworben haben. Bei Ziegeln, die durch Legionen, also staatlich hergestellt waren, entfällt dieser Hintergrund: sie hatten keinen Markt, es sei denn einen schwarzen. Zur Kennzeichnung von Staats-eigentum könnten die Ziegelstempel durchaus gedient haben, jedoch nicht bloß, um „Abzweigungen“ und Zweckentfremdung abzuwenden, sondern vermutlich im Zusammenhang der Zoll- und Tributerhebung. Militärische Ziegelstempel sind dieser Hypothese nach als Zollfrei-Deklarationen zu bewerten. Jedwedes Fiskalgut war nämlich zollfrei. Allerdings ist bislang über Binnenzollareale und die Organisation öffentlicher Häfen und Stapelplätze nur wenig bekannt. Waren die Ziegel erst einmal verbaut, hatten die Ziegelstempel am Bauwerk keine Funktion mehr. Als Bauinschriften dienten sie, von Mörtel verdeckt oder auf den Dächern einer Betrachtung entzogen, bestimmt nicht.

Stationierung von Legionen in Mainz und dem nördlichen Obergermanien

Die Truppen des römischen Heeres sind an den Grenzen des Reiches auf Standlager verteilt. Mainz stellt einen der bedeutendsten Militärorte an der Nordgrenze des Reiches dar. Jeweils im Zusammen-hang von Feldzügen, Kriegen, Aufständen und Revolten oder grundlegenden strategischen Neuordnungen sind die Truppen verlegt worden. Diese spezielle archäologisch-historische Forschungsrichtung heißt Dislokationsgeschichte. Für den Truppenstandort Mainz werden aktuell folgende Datierungsansätze für die Legionen angenommen:

legio I Adiutrix 69/70 – 85/86 n.Chr.
legio II Augusta 9/10 – 16/17 n.Chr. [ohne Ziegelstempel in Mainz]
legio VII Gemina 1.Hälfte 70er Jahre 1.Jahrhundert n.Chr. (unbekannter Stationierungsort)
legio IIII Macedonica 43 – 69/70 n.Chr.
legio VIII Augusta 70 – nach 371 n.Chr. (Mirebeau / Straßburg)
legio XIII Gemina 9/10 – 16/17 n.Chr. [ohne Ziegelstempel in Mainz]
legio XIIII Gemina 13/12 v.Chr. – 43 / 69/70 – 96/97 n.Chr. [Ziegelstempel nach 69/70 n.Chr.]
legio XIIII Gemina Martia Victrix 69/70 – 96/97 n.Chr.
legio XV Primigenia 39 – 43 n.Chr. [ohne Ziegelstempel in Mainz]
legio XVI Gallica 13/12 v.Chr. – 43 n.Chr. [ohne Ziegelstempel in Mainz]
legio XXI Rapax 83 – 89/90 n.Chr.
legio XXII Primigenia 43 – 69/70 / 96/97 – vor 368/369 n.Chr.
legio XXII Primigenia Pia Fidelis 96/97 – vor 368/369 n.Chr.

cohors I Asturum 2.Hälfte 1.Jahrhundert – Anfang 2. Jahrhundert n.Chr. (rechtsrheinisch)
cohors IIII Vindelicorum 2.Hälfte 1.Jahrhundert – Mitte 3.Jahrhundert n.Chr. (rechtsrheinisch)
cohors XXIV Voluntariorum Civium Romanorum
2.Hälfte 1.Jahrhundert – Mitte 3.Jahrhundert n.Chr. (rechtsrheinisch)

spätantikes Limitanheer 369 n.Chr. – Mitte 5.Jahrhundert n.Chr. (linksrheinisch)

Datierung von Ziegelstempeln

Baukeramik mit militärischen Stempeln ist während der Stationierungszeit der jeweiligen Einheit hergestellt worden. Ganz selten kennen wir die genaue Errichtungszeit, Reparaturen und Umbauten von Bauwerken, in denen Ziegelstempel ausgegraben wurden. Mittels exakter Befundbeobachtungen und baugeschichtlicher Forschungen ist es aber möglich, eine relative Abfolge des umfangreichen Ziegelstempelrepertoires der verschiedenen Truppen und von ihnen betriebenen Ziegeleien festzulegen. Seit mehr als 120 Jahren arbeiten die Militärarchäologen und Limesforscher an dieser Aufgabe; dabei wurden Gruppen gleichzeitiger Ziegelstempel definiert: Von der 8. Legion lassen sich bis jetzt zwei Gruppen separieren: Saalburg-Gruppe, Niederbieber-Gruppe. Bei der 22. Legion werden derzeit der Stempeltyp Rheinzabern und Stempeltypen folgender Gruppen unterschieden: Heddernheimer Frühgruppe, Echzeller Hauptgruppe, Stockstädter Gruppe, Namen- und Namenbegleitstempelgruppe, Kapersburg-Gruppe, Spätantoninische Gruppe, Eisgrubgruppe, ANT-Gruppe, Flörsheimer Gruppe, Wormser capricornus-Gruppe.